Karawanen-Mitglied Bruno Maul erzählt…

Karawanen-Mitglied Bruno Maul hat einen sehr persönlichen Artikel über das bisher Erlebte geschrieben. Weil der Text sehr gut die Situation des Hilfsteams und der Menschen vor Ort wiedergibt, möchten wir ihn euch keinesfalls vorenhalten:

Wie die Zeit vergeht… Langsam und gleichzeitig schnell! Es ist erst eine Woche vergangen und doch schon so viel passiert! Es ist schon eine Woche vergangen und wir haben noch so viel zu tun! Während unserer ersten Etappe im Libanon haben wir viel erlebt und gearbeitet. Dinge organisiert und gekauft, Malworkshops gehalten, Clown-Shows gegeben… Am Abend können wir oft gar nicht glauben, dass all die erlebten Dinge des vergangenen Tages in einen einzigen Tag hineinpassen… So viele Eindrücke prasseln auf uns ein: Freud neben Leid, arm neben reich, Hoffnung neben Verzweiflung.

Wir alle sind wie wissbegierige Schwämme und erfahren täglich Neues von unseren Freunden hier im Libanon, das wir versuchen aufzusaugen und gleichzeitig zu verarbeiten. Manchmal gelingt das, manchmal nicht. Vieles von dem Erzählten schreit vor Ungerechtigkeit zum Himmel und wir verneigen uns in Demut vor diesen herzlichen Menschen und ihrer Lebensweise.

Etwas sorgenvoll betrachten wir den Wechselkurs Euro – zu Dollar – zu libanesischemP fund. Noch vor einem halben Jahr hätten wir mit dem selben Kontingent an Euro-Spenden deutlich mehr Dollar zur Verfügung gehabt, mit welchem alle größeren Anschaffungen und Investitionen im Libanon getätigt werden. Weil ein paar mächtige weiße Männer Krieg spielen müssen, spüren nun auch wir, was es bedeutet, wenn die eigene Währung plötzlich nicht mehr so stabil ist, wie wir es aus der Vergangenheit gewohnt waren. Aber was ist das schon im Vergleich zu der Inflation, die die Menschen im Libanon die letzten Jahre erleben mussten?

Wenn im Libanon, in Syrien, in Palästina die Bomben fallen, wird deshalb kaum ein Europäer Sorgen haben müssen, sein täglich Brot nicht mehr bezahlen zu können. Umgekehrt wird durch den Krieg in Europa und die deshalb verhängten Sanktionen, das Brot für die aus Krieg und Elend geflohenen Menschen aus Syrien und Palästina plötzlich um ein vielfaches teurer (Libanon bezieht/bezog einen Großteil des Getreides aus Russland). Auch für Libanesen ist es nun oft nicht mehr möglich, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Viele junge Einheimische ziehen wieder zurück zu ihren Eltern oder gehen ins Ausland.
Wir hören diese Geschichten von Kamar, unserer libanesischen Freundin und Begleiterin auf unseren Touren. Wir hören sie von Mikel, Batoul, Baha, Nazar, Mirwet, … Und gleichzeitig sind es genau diese Menschen, die alles tun, um ein klein wenig Hoffnung zu sähen. Die Schulen gründen, die Texte schreiben, die ihr Wissen mit anderen Teilen, die uns helfen anderen zu helfen…

Das von uns so geschätzte Bild der „Menschheitsfamilie“ wird hier im wahrsten Sinne spür- und greifbar. Während ich von Mikel, einem muskelbepackten syrischen Christ im palästinensischen Flüchtlingsgetto „Shatila“ spontan und unerwartet eine Rückenmassage gegen meine Bandscheiben-Probleme bekomme, versuche ich ihm zu beschreiben, was der Begriff „Menscheitsfamilie“ für uns bedeutet. Ganz schnell hat er begriffen und sagt: „Genau darüber haben wir doch schon gestern gesprochen, als wir feststellten, es sei nicht fair, dass deine Kinder mehr Recht auf Bildung haben als meine.“ Wir schweigen und ich spüre, dass sich wieder mal Tränen in meine Augen drücken. Ich weiß nicht, ob aus Rührung darüber, dass wir uns so gut verstehen oder aus Zorn über diese Ungerechtigkeit.

Pascal hat von unseren libanesischen Freunden das Prädikat „libanesischer Taxifahrer“ ausgestellt bekommen, weil er verstanden hat, dass hier eine rote Ampel nur eine Empfehlung zum Anhalten ist, und rechts wie links Überholen dem Verkehrsfluss nur zuträglich ist. Sicher steuert er uns auf unseren Besorgungsfahrten kreuz und quer durch Beirut. Manchmal taucht in mir die Frage nach der Sinnhaftigkeit auf, wenn wir stundenlang auf der Suche nach DIN A2-Papier, Whiteboardmarkern oder einem guten Wechselkurs durch diese Großstadt kreuzen. Selbst der viel besagte Spruch vom „Tropfen auf den heißen Stein“ verblasst für mich dann manchmal.

Wenn dann aber Anita, Stefan, Heiko und Sonja mit ihren Clownshows Kinderherzen höherschlagen lassen oder Till, Anja und Sabine mit ihren Malworkshops binnen weniger Minuten eine unglaubliche Ruhe und Konzentration der vielen Kinder in den engen Klassenräumen hervorrufen, dann ist er wieder da, der Funke Hoffnung, der kleine Tropfen, der doch so einen großen Unterschied zum „Nichts-tun“ macht.

Das Gefühl, einen regelrechten „Wasserfall“ ausgelöst zu haben, hatten wir gestern, als wir in Burj Barajneh einer weiteren Schule in dem dortigen „Palästinenser-Camp“ zur Gründung verhalfen. Ein paar Tage zuvor hatten wir ein ca. einstündiges Gespräch mit den jungen Lehrerinnen, die Pascal per Email um Hilfe gebeten hatten. Sie schilderten uns ihre Situation. Auch hier war ähnlich zu Shatila das Problem, dass einfach kein Geld da war, um Klassenräume zu mieten. Der Bedarf einer Schule überschritt aber die Größe der kleinen Dachterasse, auf welcher die Lehrerinnen bisher versuchen, möglichst vielen Kindern den Zugang zu Bildung zu ermöglichen.

Obwohl wir bereits beim ersten Treffen zugesagt hatten sie zu unterstützen, konnten die Damen es gar nicht fassen, dass wir ein paar Tage später unser Versprechen tatsächlich einhielten und die Jahresmiete für das neue Schulgebäude (eine drei-Zimmer-Wohnung) an den Besitzer übergaben. Die glänzenden Augen der Lehrerinnen standen denen der Kinder bei den Clownshows in nichts nach. Wie unwahrscheinlich ist es, dass durch eine Email an eine winzige NGO wie die „Karawane der Menschlichkeit“, der Traum von der eigenen Schule in Erfüllung geht? Gar nicht so unwahrscheinlich! In unserem Fall eher: typisch Karawane! Auch von diesem Schulprojekt werden wir in den nächsten Jahren immer wieder berichten.

Die Größe unserer „Karawane“ hat auch hier vor Ort einen Höchststand erreicht. Mit zehn Leuten vor Ort zu sein bedarf auch einiger zwischenmenschlicher Achtsamkeit. Nach Feierabend reden wir viel über das Erlebte, besprechen die nächsten Tage und auch der Humor kommt in dieser Konstellation nicht zu kurz.

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